Stratege statt Fan

Fußballlehrer Guus Hiddink will wieder einmal ein kleines Wunder vollbringen und Australien zur WM führen

SYDNEY/EINDHOVEN taz ■ Sollte die kleine Revolution im Weltfußball am Ende dann doch ausbleiben, wird alles ganz schnell gehen. Guus Hiddink wird sich in Sydney für immer von den australischen Nationalspielern verabschieden und in den nächsten Flieger nach Europa steigen. Zurück zu seinem Hauptjob als Cheftrainer des PSV Eindhoven, im Gepäck die Erkenntnis, dass selbst er nicht ständig Wunder vollbringen kann. So wie vor drei Jahren, als der Niederländer Südkorea sensationell ins WM-Halbfinale führte und ein ganzes Land ihm deshalb zu Füßen lag.

Nun könnte Hiddink 13.000 Kilometer weiter südöstlich erneut zum Nationalhelden werden. Drehen die Australier am Mittwoch (10 Uhr MEZ) im zweiten Relegationsspiel gegen Uruguay das 0:1 aus dem Hinspiel und qualifizieren sich zum zweiten Mal nach 1974 für eine WM-Endrunde, hätte Hiddink ein weiteres Husarenstück vollbracht. Und Coups mit Fußball-Minis schätzt der Mann, der mit Eindhoven 1988 den Europapokal der Landesmeister gewann.

Deshalb, sagt zumindest sein Agent Cees van Nieuwenhuizen, übernahm Hiddink im Juli das Nationalteam Australiens. Und damit ein ausgewachsenes WM-Trauma: 1985 war Schottland zu stark für die Aussies und fuhr zur WM, 1993 Argentinien, 1997 der Iran und 2001 Uruguay, der gleiche Gegner wie am Mittwoch. Das Angebot der Australier, sagt der Agent, sei eines von fünf gewesen. Und beileibe nicht das leckerste: „Aus geografischer Sicht hart; ein Land, das seit 32 Jahren bei keiner WM dabei war; und finanziell sicher auch nicht die interessanteste Offerte.“ Motiviert habe Hiddink am Ende aber der – unbescheidene – Wunsch, die Fußballgeschichte zu verändern.

Das will, zunehmend dringend, auch Australiens Fußballverband. Also heuerte die FFA den anspruchsvollen Hiddink an – sozusagen als Kontrastmittel zum netten Frank Farina, der mit den „Socceroos“ im Juni mit null Punkten und zehn Gegentoren vom Confederations Cup heimkehrte und über sich und seinen Job sagte: „Ich bin wie ein Fan.“ Der Fan Farina wurde ersetzt durch den Strategen Hiddink. „Unser neuer Super-Coach“, schwärmte FFA-Chef Frank Lowy. Dank seiner Erfahrung wusste Hiddink im neuen Job sehr bald, an welchem Rädchen er primär zu drehen hatte. Als „zu ehrgeizig und zu engagiert“ beurteilte er die Australier – allgemeine Lockerung war angesagt.

Unter Farina ließen sich die Australier beim WM-Showdown vor vier Jahren noch vom feindseligen Empfang in Montevideo verwirren: Ihre Mienen beim Training waren eingefroren, hinter Absperrgittern sorgten Polizisten für Ruhe. Diesmal verlegten die Aussies ihre Vorbereitungen nach Buenos Aires. Und auf dem Rasen des San-Lorenzo-Stadions stand Guus Hiddink, gönnte seinen käseweißen holländischen Beinen ein wenig südamerikanische Sonne, mischte sich aus Entspannungsgründen unter seine Spieler. Schwer beeindruckt von der „Ruhe“ des Trainers war Kapitän Mark Viduka. „Du würdest nicht glauben, dass wir vor einem der größten Spiele in unsere Karriere stehen“, staunte er.

Anfang Oktober, während eines neuntägigen Trainingslagers bei Eindhoven, war die Stimmung noch düster. Hiddink arbeitete mit seinen Australiern zum ersten Mal über einen längeren Zeitraum zusammen. Und erklärte danach prompt, die Teilnahme seines Teams an der Endrunde in Deutschland käme einem „kleinen Wunder“ gleich. Nicht einfacher machte die Sache die Doppelbelastung durch seinen Job in Eindhoven, wo sich speziell Präsident Rob Westerhof sorgte, Hiddink würde die Arbeit beim PSV vernachlässigen.

Mit guten Resultaten in der Champions League konnte der umtriebige Trainer Westerhofs Bedenken zumindest bis zum heutigen Tag zerstreuen. Zumal auch die Australier Grund zu Klagen hatten: Trainingslager fanden nicht in Downunder, sondern in den Niederlanden statt. Und reiste Hiddink wie vor den beiden WM-Qualifikationsspielen im September gegen die Salomon-Inseln doch einmal auf die andere Seite der Erdkugel, kam er mit 48 Stunden Verspätung an. Weil er für den PSV noch Transfers zu erledigen hatte.

Aber alle nehmen alles in Kauf – so lange der Startrainer die gewünschten Erfolge abliefert. Und wer weiß: Vielleicht reicht das Wissen des Kontrastmittels ja tatsächlich für eine kleine Fußball-Revolution.

ANDREAS MORBACH